Kalkberg

Betriebsfrieden vor Demokratie? Offener Brief an Henriette Reker

Sehr geehrte Henriette Reker,
ich habe mir die Ratssitzung am Dienstag im Livestream angesehen und war zutiefst enttäuscht von Ihrem Verhalten bei der Diskussion um den Kalkberg. Und zwar nicht, weil sie die Dringlichkeit benannt und sich deshalb letztlich für die Beschlussvorlage entschieden haben, sondern weil sie die kritischen Fragen zur angeblichen Alternativlosigkeit der Sanierungsvariante offenbar gar nicht interessiert haben. Sie hatten ihre Entscheidung ja schon gefällt, bevor diese Fragen von Ihren Kolleginnen und Kollegen gestellt wurden und haben am Ende der Diskussion mit keiner Geste und keiner Silbe erkennen lassen, dass Diese sie in ihrer Entscheidung verunsichern. Ihr Desinteresse an den Fakten ging ja sogar so weit, dass sie die Fragen schriftlich stellen und beantworten lassen wollten, womit sie gar nicht mehr vor der Abstimmung auf den Tisch gekommen wären! Und Ihre Antwort auf die Frage, warum die Projektverantwortlichen nicht schon längst vom Kalkberg abgezogen worden seien, war für eine Oberbürgermeisterin eigentlich ein Offenbarungseid: „Finden Sie mal jemanden, der das übernehmen will!“

Schon bei den vergangenen Dringlichkeitsentscheidungen zum Kalkberg haben Sie und Ihre Mitarbeiter die Chance, sich bei anderen Experten außer den von den Projektverantwortlichen Bestellten, zum Thema zu informieren, nicht genutzt. Wir hatten Ihrem Mitarbeiter Herrn Wolfgramm dieses Gespräch angeboten. Es wäre für Sie eine Chance gewesen, eine fundierte, andere Einschätzung der Lage zu bekommen und sich dann selber Ihr Bild zu machen. Stattdessen haben Sie sich einzig und allein dem Urteil der bestellten Gutachter anvertraut, so wie Ihre Vorgänger in Rat und OB-Amt ebenfalls. Wohin das geführt hat, kann heute am Kalkberg jeder sehen.

Frau Reker, Sie sind angetreten mit dem Versprechen eines neuen Politikstils. Ich hatte mir davon Offenheit (für Argumente), das Hinterfragen von gesetzten Positionen, Ergebnisoffenheit im Gespräch und das Denken in Alternativen versprochen. Auch nach den Ereignissen vom Dienstag möchte ich Ihnen nicht Machtverhalten unterstellen, wer Sie kennt, weiß, dass das Unsinn wäre. Aber Sie sind offenbar dabei, in eine Spur zu geraten, die für die Bürger dieser Stadt im Ergebnis auf etwas sehr Ähnliches hinausläuft und das ist die Wahrung des „Betriebsfriedens“ bei der Abwicklung der städtischen Geschäfte um jeden Preis. So ein Politikstil, in dem kritische Fragen lediglich als Störung des Betriebs wahrgenommen werden, macht mich wütend. Es ist der Stil, mit dem wir in langen Jahren der SPD-Apparatschik-Regierung leben mussten. Ich hatte mir von Ihrem Amtsantritt eine Abkehr von diesem Stil erhofft. Nun weiß ich überhaupt nicht mehr, an wen ich mich eigentlich noch mit berechtigter Hoffnung, gehört zu werden, wenden kann und darf. Ich bin im Herzen kein Neinsager, sondern gestalte gerne gemeinsam mit Anderen Dinge und Prozesse und kann gut damit leben, wenn andere nach reiflicher Überlegung Dinge anders sehen und umsetzen als ich das tun würde. Aber Ihr oben beschriebenes Verhalten kann jeden, der sich auch nur halbwegs kritisch mit den Dingen, die ihn umgeben, auseinandersetzt, zum Wutbürger machen.

Ich fordere Sie deshalb auf, umzukehren. Am Kalkberg können Sie ein Zeichen setzen, dass für Sie politische und demokratische Werte über der Loyalität zu Ihren Mitarbeitern stehen. Diese Loyalität ist im täglichen Geschäft gewiss wichtig und ein Bestandteil Ihrer Rolle als Oberbürgermeisterin. Aber der Kalkberg ist schon lange kein „Alltagsgeschäft“ mehr, sondern ein Politikum ersten Ranges, bei dem Ihre Mitarbeiter nicht nur ihre Kompetenzen überschritten, sondern auch die Regeln ihres eigenen Betriebs auf das Gröbste verletzt und die Stadtgesellschaft und ihre politischen Gremien ein ums andere mal belogen haben. Jetzt ist es an der Zeit, zu zeigen, wem Sie am Ende wirklich verpflichtet sind: Und das sind die Wähler und Wählerinnen Ihrer Stadt und kein Stadtdirektor und kein Feuerwehrchef.

Der Kölner Feuerwehr als Institution würden Sie mit der Aufgabe der Hubschrauberstation auf dem Kalkberg im Übrigen einen großen Gefallen erweisen. Das Objekt hat ihr Ansehen in einem Maße beschädigt, das auch mit einer Inbetriebnahme in ferner Zukunft nicht repariert werden kann. Es ist vielmehr zu einem Symbol der Anmaßung geworden und wird ewige Quelle des Spotts, wenn nicht sogar schlimmer Verdächtigungen bleiben.

Konkret zur heute anstehenden Entscheidung:

  1. Der Grad der Dringlichkeit der Sanierungsentscheidung ist letztlich eine Glaubensfrage: Traue ich dem Berg nach 40 Jahren zu, noch ein paar Monate zu halten oder nicht? Das muss jeder für sich entscheiden, da die Aussagen des Gutachtens, der Beschlussvorlage und der vorgelegten Sanierungsplanung diesbezüglich widersprüchlich sind – im Hinterkopf sollte man dabei allerdings immer behalten, dass die Dringlichkeit von den Projektverantwortlichen selber herbei geführt wurde. Aber darum geht es heute auch nur am Rande, denn dass eine Sanierung mehr oder weniger dringend notwendig ist, darüber sind wir uns denke ich einig.
  2. Somit geht es also im Wesentlichen darum, wie saniert werden soll. Und da ist doch interessant und mehr als ein Detail am Rande, dass das Ratmitglied Gerhard Brust Herrn Kahlen bei der angeblichen „Alternativlosigkeit“ am Dienstag ja regelrecht überführt hat: Herrn Brusts Einwand, dass die Scherfestigkeit des bis zu 15m dicken Deponiedeckels, den die BI zur Verwendung bei der Stabilisierung der Flanken ins Spiel gebracht hatte, identisch mit derjenigen des Materials ist, das nach den Plänen der Gutachter angefahren werden soll, konnte Herr Kahlen nicht entkräften. Stattdessen hat er sehr allgemein von Bodeneigenschaften gesprochen, die nur mit dem angefahrenen Material dargestellt werden könnten. In den Ausschüssen war als die entscheidende Eigenschaft noch ganz klar die Scherfestigkeit benannt worden. Nun, da Herr Kahlen darauf hingewiesen wird, dass die Scherfestigkeit identisch ist, soll es irgendetwas anderes sein und er kann noch nicht einmal benennen, was! Und von den angeblich nicht ausreichenden Materialmengen, die die Bürgerinitiative mit ihren Berechnungen ebenfalls widerlegt hatte, war überhaupt nicht mehr die Rede!

Weshalb ich so gründlich darauf eingehe: Der Vorgang beweist, dass die Alternativlosigkeit dieser Form der Haldensanierung eine reine Behauptung ist und Alternativen nicht zugelassen werden sollen!

Ich fordere Sie deshalb auf, heute folgende Fragen zu stellen:

Zu der behaupteten Alternativlosigkeit der von den Gutachtern erstellten Sanierungsvariante:

  1. Wenn die Scherfestigkeit des Materials, das die BI zur Verwendung bei der Sanierung des Kalkbergs vorschlägt, identisch ist mit derjenigen des Materials, das die Gutachter in ihrer Sanierungsvariante anfahren wollen, was sind das dann für Eigenschaften, die gebraucht werden und die das von der BI vorgeschlagene Material nicht erfüllt?
  2. Wenn es nicht die Scherfestigkeit der genannten Materialien identisch ist, warum haben die Gutachter in der Sondersitzung von Bau- und Umweltausschuss dann die Auskunft erteilt, dass das von der BI vorgeschlagene Material nicht die nötige Scherfestigkeit hat?
  3. Wenn die Materialmenge des Deponiedeckels, wie von der BI belegt, doppelt bis dreifach ausreicht, um damit die Hänge der Halde zu stabilisieren: Warum wurde den besagten Ausschüssen von den Gutachtern dann die Auskunft erteilt, dass das Material für die Abdeckung aller drei Flanken nicht ausreichen würde?
  4. Kann es sein, dass hier Schutzbehauptungen aufgestellt wurden, um die von der BI vorgeschlagene Sanierungsvariante schlecht zu reden?
  5. Wenn das so ist, warum sollen wir ihnen (den Gutachtern) dann noch vertrauen?
  6. Wenn wir ihnen nicht vertrauen können: Warum sollen wir die von ihnen empfohlene Sanierungsvariante dann beschließen?
  7. Wenn wir die von ihnen empfohlene Sanierungsvariante nicht beschließen können, weil wir ihnen nicht trauen können und zugleich ausschließen wollen, die Bevölkerung in Gefahr zu bringen, dann wollen wir die Möglichkeit bekommen, die uns von ihnen vorenthaltene Sanierungsvariante zu beschließen. Dafür muss diese geprüft und vorgelegt werden. Bevor dies nicht geschehen ist, wird hier nichts beschlossen!

Zum ausstehenden Umweltgutachten:

Das Umweltamt hat bekundet, nun erst einmal ein Umweltgutachten für den Kalkberg erstellen zu wollen. Gleichzeitig sagte Herr Kahlen in der Ratssitzung am Dienstag, dass lediglich die zwei Stellen, an denen die statischen Gutachter auf Kontaminationen gestoßen waren, ohne diese weiter untersuchen zu lassen, neu beprobt werden sollen und aus anderer Quelle haben wir erfahren, dass sogar lediglich eine dieser Stellen neu beprobt werden soll. So oder so: Wir gehen nicht davon aus, dass die Neubeprobung zweier Zufallsfunde der Systematik eines Umweltgutachtens entspricht. Deshalb die für diesmal letzten Fragen:

  1. Trifft es zu, dass die aktuelle Planung für die Erstellung eines Umweltgutachtens, entgegen der Mitteilung von Herrn Kahlen an den Rat, eine Neubeprobung von nur einer statt beider kontaminierter Fundstellen vorsieht?
  2. Vorausgesetzt, dass, im Sinne einer seriösen Untersuchung, weder das eine noch das andere zutrifft: In welchem Umfang, also an wie vielen Stellen, an welchen Stellen und bis in welche Tiefe plant das Umweltamt, den Kalkberg auf Kontaminationen, besonders in seinen tieferen Schichten, zu untersuchen?
  3. Auf welche Kontaminiationen soll untersucht werden?
  4. Woher ist bekannt, dass es sich bei den Kontaminationen an den vorherigen Bohrproben um Stoffe handelt, die, so der Pressesprecher der Stadt Köln, „mit den herkömmlichen Ablagerungen der CFK nicht in Übereinstimmung zu bringen“ sind, wenn die Proben doch gar nicht untersucht werden konnten?
  5. Gibt es bereits einen konkreten Verdacht, um welche Stoffe es sich handeln könnte?
  6. Wenn ja: Warum wird dieser Verdacht nicht geäußert?

Sehr geehrte Frau Reker, ich hoffe, dass auch Sie heute zu den kritischen Fragestellern zählen werden. Die Affäre Kalkberg ist lang, im wahrsten Sinne des Wortes schmutzig und manchmal kompliziert. Aber sie wird nicht erträglicher, indem man sich wegduckt und die Dinge ihren von Anderen bestimmten Lauf nehmen lässt!

 

Mit hochachtungsvollen Grüßen,

Boris Sieverts
Schleiermacherstr.8
51063 Köln
Tel. 01714160572