Ausstellung / Führung

Stuttgart. Reise durch einen Sonderfall

Boris Sieverts’ Kunst ist flüchtig. Sie existiert vor allem außerhalb von institutionellen ausstellungsformaten in Form von »Reisen«, auf denen man den Künstler begleiten kann. Wie Performances materialisiert sich Sieverts’ Kunst nicht. Sie findet im Stadtraum in Echtzeit mit den Mitreisenden statt und hat ihr Speichermedium in deren Köpfen. Seine Reisen bietet Sieverts seit mehr als zwanzig Jahren über sein Büro für Städtereisen an. Sie führen in städtische Peripherien, ins Niemandsland der Moderne, durch Zonen unserer Städte, die als Ziele sonst oft nicht in Betracht kommen oder unter anderen Perspektiven als bei herkömmlichen Stadtführungen erkundet werden. Dabei sind es vor allem Ränder von Metropolen (wie etwa Köln, Leipzig, Paris, Marseille oder das Ruhrgebiet), Zwischenräume in Ballungsgebieten, Siedlungen oder Brachflächen, welche die Mitreisenden binnen kurzer Zeit aus der gewohnten Lebenswelt entführen und den Blick auf Stadt, Raum, Architektur und Stadtplanung auf ungeahnte Weise öffnen.
Mit seinen choreografierten Touren zeichnet Sieverts »komplexe Bilder«. Räume, Orte und Landschaften dienen ihm als Material. Dabei lenkt er die Aufmerksamkeit auf ästhetische und soziologische Besonderheiten von Stadtlandschaften, Bebauungen
und Bewegungsmustern der Bewohnerinnen und Bewohner. Wahrnehmbar wird so eine Gegenwart, die in Architekturführern gar nicht vorkommt oder bisweilen von übermächtiger Geschichte überschattet wird. Aus seinen Erkenntnissen zur erforschten Umgebung entwickelt Sieverts Vorstellungen und Interpretationen, die er in die Raumplanung und den Kulturbetrieb einspeist (aus dem Ausstellungsprospekt)

Für Weissenhof City. Von Geschichte und Gegenwart der Zukunft einer Stadt hat Boris Sieverts vier Reisen durch Stuttgart entwickelt. Auf diesen Resien geht es ihm weniger um die Ikonen der Moderne als um jene Orte, an denen die Versprechen, aber auch die Widersprüche und das Scheitern der Moderne (noch) heute spürbar sind. Sein Augenmerk gilt dabei vor allem der besonderen Topografie der Stuttgarter (Stadt-)Landschaft als einer Art unbewussten architektonischen Programms.


Termine:

Sa | 13.7.2019
Tour 1: Ohne Titel

Sa | 17.8.2019
Tour 2: Ohne Titel

Sa | 31.8.2019
Tour 3: Die Gitarre erwandern
(Noch) hängen Gleisstrang und Stadtkörper Stuttgarts zusammen wie Corpus und Griffbrett einer Gitarre (Modell Gibson Flying V ?). Wir erwandern den Rand der City (des Schallochs) mit seinen zahlreichen Bruchstellen, schlecht vernarbten Wunden und architektonischen Kleinoden und tasten uns dann weiter hinauf zur Schulter, wo einer überforderten Innenstadt (noch) der Gegenentwurf eines lässigen, im Sichtschatten der Bahngleise in den Tag lebenden Wohnquartiers gegenüber steht.

Sa | 14.9.2019
Tour 4: Die Travertinstory
Travertin gehört zu Stuttgart bzw. zu Bad Cannstatt wie Kessel und Neckar. In und um die ehemaligen Steinbrüche zwischen Bad Cannstatt und Münster sind erd- und kulturgeschichtliche Dimensionen so präsent, ineinander verwoben, gedreht und mehrfach gewendet wie an wenigen anderen Orten. Auch für das Neue Bauen war Travertin von Bedeutung – nicht zufällig erinnert der Stammsitz der Firma Lauster an Pölzigs I.G.-Farben-Haus.

 

Kosten inklusive Verpflegung (Lunch, Kaffeepause), ÖPNV und Fahrrädern: 35 €
Anmeldung unter fuehrungsservice@staatsgalerie.de oder T +49 711 470 40-452/-453
Die Treffpunkte werden bei Anmeldung bekanntgegeben.

Mit der Videoarbeit Modell ist Sieverts auch in der Staatsgalerie vertreten. Hier greift der Künstler Mies van der Rohes frühes Modell für die Weissenhofsiedlung auf und führt es weiter bis zum Horizont. Im Vorgang des Nachmodellierens und der Ausdehnung des ursprünglichen Modells treten die entwerferischen Motive in den Hintergrund und machen Platz für das haptische Nachvollziehen einer Stadtlandschaft, in der sich die drängenden Fragen der Moderne eher zugespitzt als entspannt haben:

Zur Ausstellung:

Vor 100 Jahren wurde in Weimar das Bauhaus gegründet. Die Entwicklung der Avantgarde-­Schule ging, wie die Entwicklung der Moderne insgesamt, mit vielen Veränderungen an unter­schiedlichen Orten einher. Kartiert man das Bauhaus und sein globales Netzwerk, so gehört Stuttgart zu den Städten, die für viele Bauhäus­lerinnen und Bauhäusler mitprägend waren und im Gegenzug von ihnen beeinflusst wurden. 
Als Ort der aktiven Produktion von Wissen haben wir Dani Gal, Michaela Melián, Martin Schmidl und Boris Sieverts eingeladen, ortsspezifisch konkret und darin exemplarisch Personen, Ideen sowie Wirkungs- und Rezeptions­stränge des Bauhauses und der Moderne in und von Stuttgart aus zu untersuchen. Wie können wir die Ambitionen des Bauhauses und den Universalismus der Moderne weiterdenken und berech­tigte Kritik daran produktiv machen?
Aus heutiger Perspektive setzen sich Dani Gal, Michaela Melián, Martin Schmidl und Boris Sieverts mit Orten und Bauten, Archiven und Dokumenten, Geschichte(n) und Mythen ausein­ander. Das Spektrum ihrer Beiträge reicht von Videos über Installationen bis zu »Reisen« durch den Stuttgarter Stadtraum. Zudem wurde die Ausstellung »Weissenhof City« von einem viel­fältigen Programm begleitet, in dem das gemein­same Nachdenken im Zentrum steht.

https://www.staatsgalerie.de/fileadmin/Webdata/Staatsgalerie/Ausstellungen/Weissenhofcity/Weissenhof_City_Booklet.pdf

https://www.staatsgalerie.de/ausstellungen/rueckblick/2019/weissenhof-city.html